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Ein Segeltörn mit Blinden

Robbie mit Rettungsweste am Ruder einer Segelyacht auf stümischem Meer

Dies sind Beobachtungen und Erfahrungen, die ich auf meinem ersten Segeltörn gemacht habe. Dieser Törn entfachte eine Leidenschaft in mir, die mich inzwischen mehrere tausend Seemeilen als blinder Rudergänger zurück legen ließ.

Blinde Passagiere 97 - Ein Segeltörn mit Blinden

Erschienen in YACHT, September 1997

Unter dem Motto "Blinde Passagiere 97" stand ein Segeltörn, den drei erfahrene Hobbysegler mit vier Blinden unternahmen, die noch nie zuvor gesegelt waren. Einer dieser Vier war ich. Auch wenn ich noch nie eine Segel-Yacht betreten hatte war ich wegen meiner Liebe zur See und meiner Begeisterung für alles maritime gleich Feuer und Flamme für die Idee. Außerdem verhieß dieses Unternehmen zum einen Abenteuer und zum Anderen neue Erfahrungen. Wenn man bedenkt, dass die beiden Gruppen (Blinde und Sehende) sich vorher nicht kannten und nur zweimal vor der Reise getroffen haben, erscheint das Unternehmen zunächst sehr waghalsig. Sehende, die keine Erfahrung im Umgang mit Blinden hatten, Blinde, die nicht wussten was Schot und Fall sind, oder wie man eine Winsch bedient. Davon abgesehen sollten Menschen, die keine Gelegenheit hatten sich näher kennen zu lernen eine Woche lang auf engstem Raum miteinander auskommen. Blindenpädagogen und Segelausbilder hätten das Vorhaben wahrscheinlich mehrheitlich zum Scheitern verurteilt. Sicherlich, es hätte schief gehen können. Woher sollte der Initiator Nils Finn auch wissen ob die Blinden, die er mit nehmen wollte sich nicht bei der ersten Gelegenheit fürchterlich die Finger klemmen oder eine Klampe belegen können würden. Es war jedoch gerade seine Unbefangenheit, besonders der Blindheit gegenüber, die zum Gelingen der Reise beitrug. Diese Unbefangenheit war allen drei Segelerfahrenen zu Eigen und hat mich gleich zu beginn fasziniert. Als Blinder ist man es schon fast nicht mehr gewöhnt, auf Fremde zu treffen, die der Blindheit völlig ungezwungen begegnen. Es war ein sehr erfrischendes Erlebnis, einmal nicht mein Gegenüber von meiner Selbstständigkeit überzeugen zu müssen, sondern auf Leute zu treffen, die mir etwas zutrauten, weil ich es mir zutraute und die Blindheit nicht als Hinderungsgrund sahen. Natürlich hatten diese Menschen auch Ihre Fragen zum Thema Blindheit, aber da wir auch eine menge Fragen zum Thema Segeln hatten, ließ sich alles in sehr entspannter Atmosphäre erörtern.

Zunächst wurden wir gefragt was wir von dieser Reise erwarteten. Wir waren uns schnell einig, daß wir in die Kunst des Segelns eingewiesen, und voll in den Segelalltag eingebunden werden wollten. So wurden wir entgegen dem obenstehenden Motto der Reise zu vollwertigen, wenn auch blinden Crew-Mitgliedern, die je nach dem, was sie während der Reise über das Segeln Lernten Ihren Teil zur Kurshaltung beitrugen. Natürlich wurde genau besprochen worauf zu achten, und was mitzunehmen sei. Wie locker die drei Sehenden mit der Blindheit umgingen zeigte sich wieder, als wir über das Design der Flagge diskutierten, die eigens für dieses Unternehmen entworfen werden sollte. Wir wollten zwar neugierig machen, aber keine plumpe Blindensensationsmache betreiben. So wurde auch die Gelbe Flagge mit drei Schwarzen Punkten verworfen. Wir einigten uns auf eine gelbe Flagge, auf der ein Smily mit schwarzem Augenbalken zu sehen sein sollte. Auch hier vermisste man gänzlich das Aufheulen der Selbsternannten sehenden Ehrenretter und Gralshüter der Blindheit, die sonst gern zu solchen Anlässen allerlei ethische und andere Bedenken ins Feld führen. Die Sehenden machten Vorschläge zur Grafik und begeisterten sich auch für die eine oder andere Idee, überließen es aber letztlich uns, wie wir als Blinde auftreten wollten.

Das Schiff stellte sich den Meisten wohl leidlich anders dar, als sie es sich vorgestellt hatten. Die Zwei gravierensten Punkte waren die Railing und das Deck. Die Railing empfanden wir als sehr niedrig und wenig Geborgenheit einflößend. Sie bestand aus zwei Kabeln, die von dünnen Metallstützen gehalten wurden. Wie sich später herausstellte, eignete sich diese Rumpfzier weniger zum Festhalten, als um so mehr zum Wäscheaufhängen. Als Deck hatte ich mir eine Flache Ebene vorgestellt, aus deren Mitte ein Mast ragt. Das eigentliche Deck war aber viel kleiner als erwartet, da sich mittschiffs ein Aufbau erhob, der den Kopfraum der unter Deck befindlichen Kajütte bildete. Dieser Aufbau war zwar auch begehbar, jedoch war dies meist mit Festhalten, oder gar krabbeln verbunden, so dass von einem Ausschreiten an Deck nicht die Rede sein konnte. Dazu kamen noch Winschen, Klampen, Blöcke, Wanten und Leinen, die das Deck unwegsam machten. Diese waren aber, nach dem ich mich an Bord orientiert hatte und eingewiesen worden war, keine Behinderung mehr. Im Gegenteil, die festen Gegenstände wie Winschen, Klampen, Wanten und Stagen wurden zu Wegpunkten, an denen ich mich orientieren konnte.

Um uns mehr Sicherheit bei der Fortbewegung an Deck zu geben, hatte der Skipper eine Sorgleine gelegt. Ein Seil, daß an Klampen befestigt den gesamten Aufbau umlief und an dem man sich bei hohem Seegang festhalten konnte, wenn man etwas an Deck zu tun hatte. Dieser Skipper, der ja keine Erfahrung mit Blinden hatte, verblüffte mich ein weiteres Mal, als er uns erklärte, daß wir die Sorgleine schnell erkennen könnten, weil sie sich von allen anderen Leinen unterschied. Sie bestand aus geschlagenem, also gedrehtem Tauwerk, während alle zum Segeln bestimmten Leinen geflochten waren.

Nachdem man uns gezeigt hatte, wie Leinen aufgeschossen und Klampen belegt werden und wir das Schiff gründlich von innen und außen inspiziert hatten, waren wir für's Erste Seetüchtig und konnten auslaufen. Der nötige Segelverstand kam durch "learning by doing". Erschien uns das erste Manöver noch sehr aufregend und dramatisch, weil uns die lauten Geräusche noch frend waren und weil wir noch nicht wussten wer wo anpacken sollte, stellte sich nach und nach Routine ein. Bald klangen die Kommandos vertraut, die Handgriffe saßen und wir wurden zu einem eingespielten Team. Niels Finn, der Skipper, ist Segelausbilder und hat so mit Erfahrung mit Grünschnäbeln auf See. Das wirkte sich sehr positiv auf die Stimmung und Lernfähigkeit aus. Er konnte ohne die Geduld zu verlieren eine Anweisung mehrmals wiederholen und ihr ggf. noch eine Erklärung hinzufügen. Auch sprach er uns Blinde mit Namen an, wenn er uns ein Kommando erteilte. Er blieb immer Herr der Lage und erkannte schnell die Talente der Einzelnen Crew-Mitglieder. So wurde jeder mit Aufgaben betraut, die ihm oder ihr am meisten lagen.

Mir persönlich ist es immer wichtig zu verstehen was ich tue. Es reichte mir nicht zu wissen, dass ich durch ziehen an einer Leine das Großsegel hochziehen konnte. Da ich technisch und mechanisch interessiert bin, ließ ich mir erklären, wie die Leinen Verlaufen, wo sie befestigt sind und wo sie übersetzt werden. Um mir vorstellen zu können in welchem Winkel zum Wind das Segel steht und wie es im gerefften oder aufgetuchten Zustand "aussieht" habe ich mir das Objekt selbst zur Anschauung dienen lassen. Das bedarf zwar viel Kletterns und Festhaltens, aber man kann nachvollziehen was das Dichtholen und Fieren von Schot und Fall bewirkt. Um einen Eindruck von der Größe des Focksegels zu bekommen, empfahl mir der Skipper mich an den Wanten festzuhalten und nach außenbords zu lehnen. Die Sehenden Crew-Mitglieder hatten keine Schwierigkeiten, einem Blinden zuzubilligen, daß er sich die Grenzen an die zu gehen er bereit ist selbst stecken, und dass er die Gefahr in die er sich begibt selbst einschätzen kann. Es war ein gutes Gefühl, für eine Aufgabe verantwortlich zu sein, ohne befürchten zu müssen, dass mir jeden Moment etwas aus der Hand gerissen wird, mit den Worten, "Ich mach' das mal eben, so geht's ja doch schneller." Wie ein Sehendes Crew-Mitglied bei einem Interview bemerkte, stand für ihn nicht unsere Blindheit im Vordergrund, sondern die 4 Individuen, die wie jeder ihre Stärken und schwächen hatten. Daß sich die Schwächen hauptsächlich auf visuelle Tätigkeiten bezogen, hieß aber nur, daß sie nicht navigieren konnten.

Ein Weiteres Beispiel für den Nutzen den man uns abgewann, ist das Anlegemanöver mit ausgefahrenen Stöcken. Wenn wir in einer Box anlegen wollten befanden sich jeweils ein Blindes Crew-Mitglied an der Backbord- und der Steuerbordrailing, sowie eines im Bugkorb. Alle hielten ihre Blindenstöcke über Bord, um den Steg bzw. die Seitenpfäle zu erhaschen, an denen das Schiff festgemacht werden musste. Die Person im Bugkorb wendet die bewährte Pendeltechnik an und kann dem Skipper melden, wann der Steg erreicht ist. Es wäre natürlich ein Leichtes gewesen, einen Sehenden an Deck zu stellen, der seine Beobachtungen meldet. Noch leichter währe es allerdings ganz ohne Blinde loszufahren. Der Sinn der Sache war ja, zu beweisen, dass so etwas eben auch mit Blinden möglich ist. Allen Skeptikern und am Ufer zusammengelaufenen Schaulustigen zum Trotz, die das Sehen quasi für eine Kondizio sine qua non für alle Tätigkeiten halten, die über das bloße existieren hinausgehen.

Am Ende der Reise waren wir uns einig, daß wir uns nächstes Jahr wieder einschiffen würden. Die Woche auf See wird wohl bei Allen bleibende Eindrücke hinterlassen und den Erfahrungsschatz deutlich erweitert haben. Ich glaube, daß eine solche Reise eine für Blinde sehr geeignete Freizeitaktivität ist. Gerade jugendliche Blinde, die oft im Internatsalltag gefangen sind, hätten hier die Möglichkeit eine neue Umgebung kennen zu lernen, die sie aber nicht überfordert, weil sie begrenzt ist. Jeder kann Aufgaben übernehmen, die dem Grad seiner Selbstständigkeit entsprechen. Darüber hinaus kann man soziale Kontakte knüpfen und Hemmnisse abbauen.

Fazit der Reise ist: Fallen und Schoten ist es egal wer an Ihnen reißt, ziehen und kurbeln kann jeder.

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